Vor etwa drei Wochen saß sie in der oberen Falz meines Schlafzimmer-Türrahmens. Ich hielt sie zuerst für einen Hirschkäfer, wegen der zwei „Hörner“ vorne. Näheres Anschauen zeigte aber: es war eine Spinne, eine hübsche gestreifte, Körper und Beine gleichermaßen in einen blassgelb-braunen Ringelpulli verpackt.
Was wie Hörner aussah, waren die beiden Vorderbeinpaare, die sie – jeweils zwei Beine – elegant übereinander gelegt hatte, wie eine feine Dame.
Wie ich in den folgenden Tagen lernte, war das ihre bevorzugte Schlafhaltung.
Warum sie sich ausgerechnet die Türfalz ausgesucht hatte? Keine Ahnung. Oben rechts saß sie im Knick des Türrahmens und für die nächsten drei Wochen wohnte sie dort. Meine Schlafzimmertür fixierte ich mit zwei Türstoppern, damit sie nicht versehentlich zuschlagen konnte.
Ich nannte die Besucherin Amanda.
Tagsüber pennte sie, in den frühen Abendstunden wurde sie wach und hing dann schonmal, Bauch nach oben, schick an einem Faden eine Handbreit runter. Zunächst erschrak sie noch, wenn ich unter ihr durchging, aber schnell hatte sie sich an mich gewöhnt.
„Hi, Amanda“, sagte ich. „Na, gut geschlafen?“
Nachts, wenn ich mal rausmusste, war ihr Platz leer. Da ging sie wohl auf Jagd, denn ein Netz spann sie nicht. Ich sah sie nachts auch nirgends im Zimmer, keine Ahnung, wo sie jagte. Möglicherweise draußen, denn ich schlafe mit offenem Fenster.
Heute früh kam sie nicht nach Hause. Ich wachte auf, mein Blick fiel auf einen leeren Türrahmen. Keine Amanda.
Ich suchte das ganze Zimmer ab, viel gibt es da nicht, aber nirgends war eine gestreifte Spinne zu entdecken.
Nun ist es Abend und Amanda ist nicht zurückgekehrt. Vermutlich ist sie auf der Jagd in der Nacht ums Leben gekommen.
Ich vermisse sie.
Meine Tür steht immer noch offen.
Gefällt mir:
Like Wird geladen …