Meine Lieben,
heute Abend bin ich sehr wehmütig… soeben rief meine Schwester an, um mir zu sagen, daß am Freitag, also vorgestern, mein bücherverrückter Onkel, G., gestorben ist, über den ich hier geschrieben habe. Obwohl wir wußten, daß er eine tödliche Krankheit und somit nicht mehr lange zu leben hatte, kam sein Tod doch überraschend. B., sein jüngerer Bruder (der Jüngste, mein Vater war der Älteste der drei), fand ihn gestern Vormittag tot in seiner Wohnung. Gestorben ist er laut ärztlicher Diagnose wohl an Herzversagen. Sein Körper hatte seit fast 20 Jahren mit einem großen Sauerstoff-Defizit funktionieren müssen. Da mein Onkel bereits einen Platz im Hospiz reserviert hatte, sind wir, meine Geschwister und ich und der jüngste Onkel, davon ausgegangen, daß wir dort noch einige Zeit mit ihm würden verbringen können. Ich selbst hatte auf lange, gemütliche Gespräche über Bücher mit ihm gehofft.
B. wird meiner Schwester Bescheid geben, sobald feststeht, wann die Beerdigung ist ( er wird alles übernehmen, was nötig ist, auch das Auflösen der Wohnung. G. habe bis ihn zuletzt noch angewiesen, bestimmte Bücher zusammen zu packen, für mich und meinen Bruder, erzählte er. (G. war Atheist, es war ihm egal, wo sein Körper bestattet würde.) B. hatte mit seiner Frau die vergangene Woche in einer Ferienwohnung in Stuttgart verbracht und seinen Bruder täglich besucht, das taten sie mehrmals im Jahr, um G. bei notwendigen Erledigungen zu unterstützen. Als sie am Samstag kamen, um sich vor der Rückfahrt zu verabschieden, war G. schon aufgebrochen… Er war Schiffbau-Ingenieur von Beruf (und aus Berufung). Ich stelle mir vor, daß er jetzt auf einem wunderschönen Segelschiff durch die Wolken fährt. Vielleicht segelt er unterwegs an den Wolken seiner Mutter (Omi Lakritz) und der Indalo-geschmückten Wolke seines älteren Bruders (meines Vaters) vorbei, wirft kurz Anker und holt die beiden an Bord…
Seine Bücher über Schiffsbau und-geschichte gehen an den Patensohn des Prinzen, der ein leidenschaftlicher Schiffs- und Bootsnarr ist. G. hat sich gefreut, daß wir auch für diese Bücher einen Liebhaber finden konnten. Sein Alptraum war, daß seine geliebten Bücher in einem Ramsch-Antiquariat landen könnten. Das verstehe ich nur zu gut, daher werde ich seine Bücher ganz besonders betüddeln und in Ehren halten. Ach, ich werde ihn vermissen, diesen etwas eigenartigen, einsiedlerischen und sehr belesenen Onkel. Er war mir wie ein großer Bruder Ich habe viel von ihm gelernt.